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Mit diesen Worten antworteten die heiligen Apostel Jakobus und Johannes auf eine sehr ernste Frage, die ihnen ihr göttlicher Meister gestellt hatte. Aus edlem Ehrgeiz, der bislang freilich noch nicht eingeführt war in die höchste Weisheit und noch nicht unterwiesen in der heiligsten Wahrheit, begehrten sie, auf dem Thron seiner Herrlichkeit an seiner Seite zu sitzen. Sie wollten sich mit nichts Geringerem zufrieden geben als mit jenem besonderen Geschenk, das er seinen Erwählten zu gewähren gekommen war, bald darauf durch sein Sterben für sie erkauft hat und auch uns anbietet. Sie baten um das Geschenk des ewigen Lebens, und in Beantwortung ihrer Frage sagte er ihnen nicht, dass sie es erhalten würden (obgleich es ihnen zugedacht war), sondern erinnerte sie daran, was sie dafür wagen müssten. „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke oder die Taufe empfangen, mit der ich getauft wurde? Sie antworteten ihm: Wir können es“ (Mk 10, 38). Damit wird uns an dieser Stelle eine große Lehre eingeschärft, dass nämlich unsere Pflicht als Christen darin besteht, für das ewige Leben Wagnisse einzugehen ohne die absolute Gewissheit auf Erfolg.

 

Erfolg und immerwährender Lohn werden denen zuteil werden, die ausharren bis ans Ende. Wir können nicht daran zweifeln, dass die Wagnisse aller Diener Christi ihnen am Jüngsten Tag in überreichem Maße vergolten werden. Dies ist ein wahres Wort: er gibt uns weit mehr zurück, als wir ihm schenken, und das ganz bestimmt. Ich spreche jedoch von Individuen, von jedem Einzelnen von uns. Keiner von uns weiß mit Sicherheit, dass er ausharren wird; aber jeder von uns muss, um sich überhaupt eine Chance auf Erfolg ausrechnen zu können, etwas wagen. Auf den Einzelnen gesehen verhält es sich demnach wirklich so, dass wir alle für den Himmel sicherlich Wagnisse eingehen müssen, ohne die Gewissheit zu erlangen, damit Erfolg zu haben. Gerade dies liegt ja im Wort „Wagnis“; es wäre ein seltsames Wagnis, das mit Angst, Risiko, Gefahr, Besorgnis und Ungewissheit nichts zu tun hat. Ja, so ist es zweifellos, und darin bestehen die Vortrefflichkeit und die Vornehmheit des Glaubens; eben dies ist der Grund, weshalb sich der Glaube aus anderen Tugenden heraushebt und als das besondere Mittel unserer Rechtfertigung gerühmt wird, weil sein Vorhandensein dafür steht, dass wir das Herz haben, ein Wagnis einzugehen.

 

Der heilige Paulus stellt uns dies im elften Kapitel seines Briefes an die Hebräer hinreichend vor Augen; es beginnt mit einer Begriffsbestimmung des Glaubens und führt im Anschluss daran Vorbilder im Glauben auf, gleichsam um uns vor jeder Möglichkeit des Irrtums zu bewahren. Nach dem Schriftzitat „Mein Gerechter wird aus dem Glauben leben“, womit er klar aufzeigt, dass er von dem redet, was er in seinem Brief an die Römer als rechtfertigenden Glauben darlegt, fährt er fort: „Glaube ist die feste Zuversicht“, das heißt das Bewusstwerden „dessen, was wir erhoffen, die Überzeugung“, das heißt die Grundlage des Beweises „von dem, was wir nicht sehen“ (Hebr 11, 1). Es ist in seinem innersten Wesen die Vergegenwärtigung des Unsichtbaren; das Handeln auf die bloße Aussicht hin, so als hätte man es bereits zu eigen; das Wagnis des Sich-Einlassens, der Einsatz des gegenwärtigen Wohlseins, Glücks oder eines anderen Gutes auf die Chance der Zukunft. Folglich sagt er in einem anderen Brief sehr deutlich: „Wenn wir weiter nichts sind als Leute, die nur in diesem Leben ihre Hoffnung auf Christus gesetzt haben, sind wir die bedauernswertesten unter allen Menschen“ (1 Kor 15, 19). Wenn die Toten nicht auferweckt werden, dann haben wir bei der Wahl unseres Lebens in der Tat eine außerordentliche Fehlentscheidung getroffen und befinden uns ganz und gar im Irrtum. Und was für die Lehre im Ganzen gilt, das gilt auch für unseren je eigenen Anteil daran. Dies macht er uns in seinem Brief an die Hebräer am Beispiel der Heiligen des Alten Bundes klar, die ihr gegenwärtiges Glück für die Chance der Zukunft aufs Spiel setzten. Abraham „zog weg, ohne zu wissen, wohin es ging“ (Hebr 11, 8). Er und die Seinen starben, „ohne die Verheißung erlangt zu haben; sie haben sie von fern gesehen und begrüßt und haben bekannt, dass sie Fremde und Gäste auf der Erde sind“ (Hebr 11, 13). So stark war der Glaube der Patriarchen. Im Kontext des Vorspruchs erheben nun die jugendlichen Apostel in ihrer unwissenden, aber großmütigen Einfalt Anspruch auf dasselbe. So wenig sie sich dessen, was sie sagten, in seiner ganzen Tragweite bewusst waren, so waren ihre Worte doch Ausdruck ihrer geheimen Herzenswünsche und in Bezug auf ihr späteres Verhalten prophetisch. Sie sagten zu ihm: „Wir können es“. Sie verbürgen sich gleichsam aus Versehen und werden von einem, der mächtiger ist als sie, beim Wort genommen und gewissermaßen durch eine List seine Gefangenen. In Wirklichkeit aber kam ihr arglos eingegangenes Versprechen letztlich von Herzen, wenngleich sie nicht wussten, was sie versprachen; und so wurde dieses Versprechen angenommen. „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke oder die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde? Sie antworteten ihm: Wir können es.“ Ohne ihnen den Himmel zu versprechen, entgegnete er ihnen gnädiglich: „Den Kelch, den ich trinke, werdet ihr trinken, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde“ (Mk 10, 38-39).

 

Dem heiligen Petrus gegenüber scheint unser Herr auf dieselbe Art und Weise zu handeln. Er nahm seine Beflissenheit an, bedeutete ihm aber, wie wenig er seine eigenen Worte zu begreifen imstande war. Der von Eifer beseelte Apostel wollte seinem Herrn unmittelbar folgen, doch der gab ihm zur Antwort: „Wohin ich gehe, dorthin kannst du mir jetzt nicht folgen. Du wirst mir aber später folgen“ (Joh 13, 36). Ein andermal forderte Jesus das ihm bereits gegebene Versprechen ein; er sagte „Folge mir!“ und gab ihm dafür zugleich die Erklärung: „Amen, amen, ich sage dir: Als du jung warst, hast du dich selbst gegürtet und bist gegangen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst“ (Joh 21, 18).

 

Dies waren die Wagnisse, welche die Apostel im Glauben und in der Ungewissheit eingegangen sind. Unser Erlöser verpflichtet uns in einem Abschnitt des Lukas-Evangeliums alle auf die Notwendigkeit, freiwillig das Gleiche zu tun. „Wer von euch, der einen Turm bauen will, setzt sich nicht zuerst hin und berechnet die Kosten, ob er genug hat, um fertig zu bauen, damit nicht etwa, nachdem er den Grund gelegt hat und nicht fertig bauen kann, alle, die es sehen, über ihn zu spotten beginnen und sagen: Dieser Mann hat angefangen zu bauen und konnte es nicht fertig bekommen.“ Und unmittelbar darauf fügt er hinzu: „So kann auch keiner von euch, der sich nicht von allem, was er hat, lossagt, mein Jünger sein“ (Lk 14, 28-33). Damit lässt er uns wissen, dass unser Opfer ein vollständiges sein müsse. Wir geben ihm all das Unsrige hin; er seinerseits fordert dieses oder jenes von uns oder überlässt uns eine Zeit lang etwas davon, ganz nach seinem Wohlwollen. Auf der anderen Seite haben wir in der Geschichte des reichen Jünglings, der traurig davon ging, als unser Herr ihn hieß, alles aufzugeben und ihm zu folgen, ein Beispiel für jemanden, der nicht den Glauben hatte, auf sein Wort hin diese Welt für die künftige zu wagen.

 

Wenn nun der Glaube das Wesentliche eines christlichen Lebens ist und wenn er dem entspricht, was ich soeben beschrieben habe, dann folgt daraus, dass unsere Pflicht darin liegt, auf Christi Wort hin das, was wir haben, zu wagen für das, was wir nicht haben, und zwar auf eine noble und großherzige Art und Weise, nicht etwa unbesonnen oder leichtfertig, wenn auch ohne genaue Kenntnis dessen, was wir tun; weder wissend, was wir aufgegeben haben, noch, was wir gewinnen werden; im Ungewissen über unseren Lohn, über das Ausmaß unseres Opfers, in jeder Hinsicht uns auf ihn verlassend, ihn erwartend und darauf vertrauend, dass er sein Versprechen einlösen werde, dass er uns befähige, unsere eigenen Versprechen zu erfüllen und so in jeder Hinsicht ohne Sorge und Angst um die Zukunft voranzuschreiten.

 

Ich darf wohl davon ausgehen, dass das bisher Gesagte den meisten Zuhörern klar und nicht zu beanstandend erscheint; wenn ich nun aber daran gehe, die sich unmittelbar daraus ergebende praktische Konsequenz zu ziehen, wird es sicherlich welche geben, die insgeheim im Herzen, wenn nicht offen eingestehend einen Rückzieher machen. Die Menschen gestatten es uns Geistlichen zu predigen, solange wir uns auf allgemeine Wahrheiten beschränken – bis  sie erkennen, dass sie von diesen selbst betroffen sind und sich nach ihnen zu richten haben; dann halten sie plötzlich inne; sie besinnen sich und ziehen sich zurück, indem sie sagen, sie sähen dies nicht ein oder könnten jenem nicht zustimmen – und obwohl sie durchaus nicht sagen  können, warum das nicht aus demjenigen folgen soll, was sie bereits akzeptiert haben und was gemäß unseren Darlegungen folgen muss, beharren sie darauf nicht einzusehen, dass es folgt; und sie suchen nach Entschuldigungen und behaupten, wir trieben die Dinge zu weit, wir seien extravagant und sollten uns in dem, was wir sagen, beschränken und mäßigen; wir würden die Zeiten und Umstände nicht in Betracht ziehen und dergleichen mehr. Dies nehmen sie zum Vorwand; nicht zu Unrecht heißt es „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!“; denn es gibt keine Wahrheit, mag sie noch so überwältigend klar sein, welcher die Menschen nicht davonlaufen könnten, indem sie die Augen vor ihr verschließen; es gibt keine Pflicht, mag sie noch so dringlich sein, gegen die sie in eigener Sache nicht zehntausend gute Gründe erfinden würden. Und sie sind sich ihrer Sache sicher, wenn sie sagen, wir würden die Dinge zu weit treiben, wenn wir sie ihnen klarlegen.

 

Diese traurige Schwachheit von Menschen, die sich Christen nennen, wird an dem uns unmittelbar vorliegenden Thema veranschaulicht. Wer würde dem nicht auf der Stelle zustimmen, dass der Glaube darin besteht, auf Christi Wort hin nicht sehend ein Wagnis einzugehen? Darf aber nicht trotzdem ernsthaft in Zweifel gezogen werden, dass die Menschen im Allgemeinen, selbst die besseren, auf seine Wahrheit hin überhaupt etwas wagen?

 

Überlegen wir einen Augenblick. Jeder möge sich die Frage stellen, welchen Einsatz er auf die Wahrheit der Verheißung Christi gewagt hat. Wäre er auch nur eine Spur schlechter dran, wenn dieser Einsatz (was nicht möglich ist) – doch nehmen wir es an – wenn dieser Einsatz verspielt wäre? Wir wissen, was es heißt, einen Einsatz auf eine beliebige Unternehmung dieser Welt zu wagen. Wir setzen unser Vermögen auf erfolgversprechende Pläne – auf Pläne, denen wir vertrauen, an die wir glauben. Was riskieren wir für Christus? Was geben wir ihm im Hinblick auf den Glauben an seine Verheißung? Der Apostel hat gesagt, dass er und seine Brüder die bedauernswertesten unter allen Menschen wären, wenn die Toten nicht auferweckt würden. Können wir dies in gewissem Maße auch auf uns beziehen? Vielleicht denken wir im Moment, wir könnten uns einige Hoffnung auf den Himmel machen; na ja, diese müssten wir natürlich fahren lassen; doch inwiefern sollten wir letzten Endes, was unsere gegenwärtige Lage anbetrifft, schlechter dran sein? Ein Kaufmann, der mit beträchtlichem Vermögen in ein Spekulationsgeschäft eingestiegen ist, das scheitert, verliert nicht nur seine Aussicht auf Gewinn, sondern etwas von sich selbst, das er mit der Hoffnung auf den Gewinn investiert hat. Die Frage an uns lautet: Was haben wir gewagt? Ich fürchte in der Tat, wenn wir dieser Frage nachgehen, wird sich herausstellen, dass es nichts gibt, wozu wir uns entschließen; nichts, was wir tun; nichts, was wir unterlassen; nichts, was wir meiden; nichts, was wir erwählen; nichts, was wir aufgeben; nichts, was wir verfolgen; nichts, wozu wir uns nicht entschließen würden; was wir nicht täten; nicht unterließen; mieden, erwählten, aufgäben und verfolgten, wenn Christus nicht gestorben und der Himmel uns nicht verheißen wäre. Ich fürchte in der Tat, dass die meisten Menschen, die sich Christen nennen, wozu immer sie sich bekennen, was immer sie denken und fühlen mögen, was immer sie an Wärme und Erleuchtung und Liebe für sich in Anspruch nehmen mögen, gleichwohl fast genauso weitermachen würden wie bisher, weder viel besser noch viel schlechter, wenn sie das Christentum für ein Märchen hielten. In der Jugend frönen sie ihrer Lust oder jagen zumindest den Eitelkeiten der Welt nach; später treten sie in ein aussichtsreiches Geschäftsleben ein oder beschreiten einen anderen Weg des Geldverdienens; dann heiraten sie und lassen sich häuslich nieder; und da bei ihnen Neigung und Pflicht zusammenfallen, scheinen sie, auch nach ihrem eigenen Dafürhalten, ehrbare und religiöse Menschen zu sein; sie gewinnen die Dinge lieb wie sie sind; sie fangen an, einen Eifer gegen Untugenden und Fehler zu entwickeln und sie sind bestrebt, mit jedermann friedlich auszukommen. Solch ein Verhalten ist zunächst einmal sicherlich recht und lobenswert. Nur, meine ich, hat es nicht notwendigerweise etwas mit Religion zu tun. Es hat nichts an sich, das als Beweis für das Vorhandensein religiöser Grundsätze bei denen angesehen werden könnte, die sich dieses Verhalten zu eigen gemacht haben. Es gibt nichts, was sie nicht noch täten, wenngleich sie nichts dabei zu gewinnen hätten, ausgenommen das, was sie jetzt ohnehin schon gewinnen; und sie gewinnen jetzt in der Tat etwas: sie erfüllen sich ihre gegenwärtigen Wünsche, sie führen ein ruhiges und geregeltes Leben, weil es in ihrem Interesse liegt und nach ihrem Geschmack ist; aber sie wagen nichts, sie riskieren nichts, sie opfern nichts, sie geben nichts auf um des Glaubens an Christi Wort willen.

 

Der heilige Barnabas, zum Beispiel, hatte in Zypern Landbesitz; er gab ihn hin für die Armen Christi. Hier haben wir ein klar verständliches Opfer. Barnabas tat etwas, das er nicht getan hätte, wenn nicht das Evangelium wahr wäre. Es ist ganz einfach: hätte sich das Evangelium als Märchen herausgestellt – Gott bewahre! – gesetzt jedoch den Fall, dies wäre so eingetreten, dann hätte er eine höchst ungeschickte Wahl getroffen; er wäre einem großen Irrtum erlegen und hätte materiellen Schaden erlitten. Er gliche einem Kaufmann, dessen Schiffe untergegangen sind oder dessen Geschäftspartner Bankrott gemacht haben. Der Mensch vertraut seinen Mitmenschen, er setzt sein Vertrauen auf die Verlässlichkeit seines Nachbarn; die Christen hingegen gehen größtenteils kein großes Wagnis auf das Wort ihres Erlösers hin ein; und dies gerade ist es, was sie tun müssen. Christus selbst sagt uns: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit man euch, wenn es zu Ende geht, in die ewigen Wohnungen aufnimmt“ (Lk 16, 9); das heißt, erkauft euch einen Anteil an der künftigen Welt mit dem Reichtum, den die hiesige Welt so ungerecht nutzt; speist die Hungrigen, kleidet die Nackten, tröstet die Kranken, und es wird euch zu „Beuteln, die nicht veralten, einem Schatz im Himmel, der nicht versiegt“ (Lk 12, 33). So, meine ich, sind Almosen ein verständliches Wagnis und ein Zeugnis für den Glauben.

 

Und wiederum, wenn es um die Aussichten eines Mannes in der Welt gut bestellt ist und er die Hoffnung auf Reichtum oder Ansehen aufgibt, um Christus näher zu sein und einen Platz in seinem Tempel zu erwerben, mehr Gelegenheit für Gebet und Lobpreis zu finden, dann bringt dieser Mensch ein Opfer.

 

Oder derjenige, der in edlem Streben nach Vollkommenheit das Verlangen nach weltlichen Annehmlichkeiten ablegt und wie Daniel oder Paulus viel Arbeit und Mühsal, und dies mit ganzem Herzen, auf sich nimmt, auch der wagt etwas auf die Gewissheit der künftigen Welt.

 

Oder der, der sündig geworden ist, in Wort und Tat bereut, sich ein Joch auf die Schultern lädt, sich der Strafe unterwirft, streng ist gegen sein Fleisch, sich unschuldige Vergnügungen versagt oder sich der öffentlichen Schande aussetzt, – auch er zeigt, dass sein Glaube die Vergegenwärtigung des zu Erhoffenden, die Bürgschaft für das Unsichtbare ist.

 

Und weiter: wer nur zum Beten findet gegen das, was von vielen begehrt wird, und sich das zu eigen macht, wovor das Herz von Natur aus zurückschreckt; wer, wenn Gottes Wille zeitliches Übel zu verheißen scheint, und er, wiewohl er dieses Übel weit von sich weist, es über sich bringt und von Herzen sagt „Dein Wille geschehe!“, selbst der ist nicht ohne sein Opfer. Oder wer bei Aussicht auf Reichtum Gott ehrlich bittet, er möge ihn niemals reich werden lassen; wer bei Aussicht auf eine hohe gesellschaftliche Stellung ernsthaft bittet, er möge sie nie erlangen; wer Freunde und Verwandte hat und sich von ganzem Herzen in die Trennung von ihnen fügt, solange diese noch ungewiss ist, und sagen kann „Nimm sie mir, wenn es dein Wille ist, dir übergebe ich sie, dir vertraue ich sie an“, der bereit ist, beim Wort genommen zu werden, – auch der wagt etwas und findet Anerkennung.

 

Solch einer wird beim Wort genommen, obgleich er vielleicht nicht versteht, was er sagt; aber er findet Anerkennung, weil er zu etwas entschlossen ist und viel wagt. Großmütige Herzen wie Jakobus und Johannes oder Petrus sprechen oft im Voraus mit großen Worten und zuversichtlich von dem, was sie für Christus tun wollen, und sie sagen dies nicht in unlauterer Absicht, jedoch unwissend; und wegen ihrer Lauterkeit werden sie zum Lohn beim Wort genommen, auch wenn sie erst noch erfahren werden müssen, wie ernst jenes Wort ist: „Sie sprachen zu ihm: Wir können es“ –  und ihr Gelöbnis wird im Himmel vermerkt. Wir alle befinden uns bei vielen Gelegenheiten in der gleichen Lage. Zuerst bei der Firmung; da versprechen wir, was andere für uns bei der Taufe versprochen haben, ohne dass wir in der Lage sind, die Tragweite unseres Versprechens zu verstehen, sondern vielmehr darauf vertrauen, dass Gott uns dies nach und nach offenbaren und uns zu gegebener Zeit die dafür erforderliche Kraft verleihen wird. Auch diejenigen, die in den geistlichen Stand treten, legen ein Versprechen ab und wissen nicht, was sie versprechen; sie gehen eine Verpflichtung ein und wissen nicht, wie tief diese reicht; sie trennen sich von den Wegen dieser Welt und wissen nicht wie grundlegend; sie meinen vielleicht, sie müssten sich die rechte Hand abhacken, die Begierde ihrer Augen und die Regung ihres Herzens am Fuß des Kreuzes zum Opfer bringen, wohingegen sie in ihrer Einfalt dachten, sie hätten das ruhige und unbesorgte Leben von „Männern, die bei den Zelten bleiben“ (Gen 25, 27) erwählt. Und so veranlassen die jeweiligen Verhältnisse die Menschen auf unterschiedliche Art und zu unterschiedlichen Zeitpunkten, diesen oder jenen Weg um der Religion willen einzuschlagen. Sie wissen nicht, wohin es sie treibt; sie sehen das Ende des Weges nicht; sie wissen nur, dass das, was sie jetzt tun, richtig ist; und sie vernehmen im Inneren ein Flüstern, das ihnen gleich dem Apostelbrüderpaar versichert, dass sie allem, was immer sich aus ihrem derzeitigen Verhalten in der Zukunft ergibt, mit Gottes Gnade gewachsen sein werden. Die heiligen Apostel sagten: „Wir können es“; und wahrhaftig, sie wurden befähigt, zu handeln und zu leiden, wie sie gesagt hatten. Dem heiligen Jakobus wurde die Kraft gegeben, bis zum Tode, dem Tod des Martyriums, standhaft zu bleiben; er wurde in Jerusalem durch das Schwert hingerichtet. Der heilige Johannes, sein Bruder, musste noch mehr ertragen, denn er starb als letzter der Apostel, während Jakobus der erste war. Zuerst musste er den Verlust seines Bruders hinnehmen, dann den der übrigen Apostel. Er hatte lange Jahre in Einsamkeit, in der Verbannung und bei schwächlicher Gesundheit zu ertragen. Er musste die Trübsal des Alleinseins erfahren, nachdem jene, die er liebte, abberufen worden waren. Er musste seinen eigenen Gedanken nachhängen, ohne einen vertrauten Freund, nur umgeben von Menschen einer jüngeren Generation. Von ihm forderte sein gütiger Herr als Zeichen seines Glaubens alles, was sein Auge liebte und woran sein Herz hing. Er glich einem, der sein Hab und Gut in ein fernes Land bringt, der es nach und nach und in Teilen vorausschickt, bis seine gegenwärtige Wohnstätte nahezu leergeräumt ist. Er sandte seine Freunde auf ihre Reise voraus, während er selbst zurück blieb, damit jene im Himmel seiner gedächten, nach ihm Ausschau hielten und ihn in Empfang nähmen, wenn der Herr ihn riefe. Er sandte auch andere, noch freiwilliger gegebene Unterpfänder und Wagnisse seines Glaubens voraus – einen Wandel in Selbstverleugnung, einen Eifer für die Wahrung des Glaubens, Fasten und Gebet, Werke der Liebe, ein jungfräuliches Leben, Schläge von den Heiden, Verfolgung und Verbannung. Ein so großer Heiliger mag am Ende seiner Tage wohl sagen „Komm, Herr Jesus!“ gleich einem, der der Nacht überdrüssig ist und auf den Morgen wartet. All seine Gedanken, all sein Sinnen, seine Wünsche und Hoffnungen wurden in der unsichtbaren Welt hinterlegt; und als der Tod kam, brachte er ihm den Anblick dessen zurück, was er in längst vergangenen Jahren verehrt, geliebt und an Umgang hatte. Als ihm schließlich das, was er verloren hatte, wieder gegenwärtig gemacht wurde, wie durften dann die Erinnerungen aufleben und vertraute, längst begrabene Gedanken neu zum Leben erwachen! Wer vermag die Seligkeit derer zu beschreiben, die all ihre Pfänder unversehrt zurückerhalten und all ihre Wagnisse reichlich und über die Maßen belohnt sehen?

 

Wie bedauerlich, meine Brüder, dass wir nicht mehr von diesem hohen und überirdischen Geist besitzen! Wie kommt es, dass wir uns mit den Dingen, so wie sie sind, zufrieden geben, – dass wir so gerne in Ruhe gelassen werden und dieses Leben genießen wollen, – dass wir so viele Entschuldigungen vorzubringen haben, wenn uns jemand die Notwendigkeit von etwas Höherem begreiflich machen will, die Pflicht, unser Kreuz zu tragen, wenn wir die Krone unseres Herrn Jesus Christus gewinnen wollen?

 

Ich wiederhole es noch einmal: Welches sind unsere Wagnisse und Einsätze auf die Wahrheit seines Wortes hin, der ja ausdrücklich sagt: „Und jeder, der Häuser, Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Frau, Kinder oder Äcker um meines Namens willen verlassen hat, wird es hundertfach wieder empfangen und das ewige Leben gewinnen. Viele aber, die die Ersten sind, werden die Letzten sein und die Letzten die Ersten“ (Mt 19, 29-30).

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